7. März 2016

Marokko - Teil 4 - Flohattacke

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War's die freche Laus oder war's der geile Floh
Wer ließ mich nicht mehr werden froh? 

Es fängt alles an in der Oase Tighmert bei Guelmin, Marokko, Februar 2016.
Ich begebe mich in meinem neuen Wohnmobil, der Hexenkutsche, zur Ruh und will schlafen, doch was ist das? Es juckt der Body  mehr und mehr. Wenn es an der richtigen Stelle ist, hab ich eigentlich nix dagegen, aber nein, der ganze Körper schreit nach Kratzen! 
Oha, ich denke, Mückenalarm.  Also, es wird gesprüht, was das Zeug hergibt. Komisch ist jedoch, dass weder Mücken noch anderes Getier zu sehen, hören, ertasten sind. Ich bilde mir ein, die ganze Matratze krabbelt....
Die Nacht ist vorbei. Der Juckreiz bleibt, erst einen Tag, dann weitere Tage, schließlich werden es ca 8 bis 9 Tage. 
Ich denk mir nix dabei, kann ja gut verdrängen. ...

Bin inzwischen am Traumstrand Plage Blanche. Der Juckreiz lässt nicht nach, im Gegenteil, ich kühle mit Waschlappen, bete zu Allah, nix hilft. In der 3. Nacht bekomme ich eine allergische Reaktion, die seinesgleichen sucht. Rasend am ganzen Körper bilde ich mir Sehstörungen ein, überlege, welches Gift ich im Körper haben könnte, überarbeite im Kopf mal wieder mein Testament usw. 
Also am nächsten Tag ab ins Krankenhaus nach Guelmin,eine ehemals wichtige Karawanenstation auf dem Weg nach Timbuktu, eine Garnisonsstadt in einer wüstenhaften Umgebung. 
Mehrere kleine Gebäude, von außen recht gepflegt ausschauend,  reihen sich aneinander. Nun was tun, wen und wie ansprechen? 
Heulende Kinder, Männer in Nachthemden (typische örtliche Kleidung in Marokko), Frauen in schwarzen Gewändern und mit Gesichtsschleiern verhüllt rennen ziemlich konfus durch Gänge, Zimmer, "Behandlungsräume". Ich bin scheinbar in der Notaufnahme. Wer um Himmels Willen ist hier so etwas wie ein Arzt? Ich schnappe mir eine an mir vorbei rasende,  ca 1.50 m kleine, frauliche Gestalt in Weiß mit schwarzem Kopftuch und frage sie erst mal, ob sie Englisch spricht. Ach, wie komme ich bloß auf eine solche Idee, ist ja eine zu blöde Frage. Natürlich nicht, ok, also Französisch, auch gut. Was ich denn wolle. Inmitten von mind. 15 wartenden, mich anstarrenden und mir zuhörenden Menschen aller Couleur erkläre ich, dass ich einen allergischen Schock hatte und deute auf eine meiner in DIESER Situation möglich zu zeigenden, befallenen Stellen an meinem Arm. Wenn ich meine Hose am Bein gelüftet hätte, wären sicher alle Starrer in Ohnmacht gefallen. Die  Weißgekleidete schaut kurz auf meine Stelle, scheint sofort Bescheid zu wissen, fragt mich, ob ich eine Spritze haben wolle. Ich will ihr noch die Medikamente zeigen, die ich immer nehmen muss, könnte ja interessant sein. Aber ne, ist nicht von Bedeutung. Ich will eine Spritze, egal, was für eine, aber mir soll geholfen werden. Sie sagt einem jungen Weißkittelmenschen, scheinbar Arzt, in einem ca 5 qm großen Raum- scheinbar die Notaufnahme- , dass er mir das und das geben solle.  In diesem Raum befinden sich ein ca 95jähriger Opa, umringt von 3 Angehörigen, ein 2. Weißkittelmensch gibt ihm gerade eine Spritze in den Kopf ( mich graust es beim Hinsehen), ein weiterer, auf einer Bank Liegender stöhnt, ein Weißkittel spricht ihm gut zu. Unaufhörlich strömen weitere Wartende von draußen rein, wir sind jetzt ca 12 Leute. Ich mitten drin. Einem der Weißkittel wird es zuviel, er schmeißt erst mal alle lautstark raus, außer Opa (der kann ja schließlich von selber auch nix mehr), dem Jungen, 3 Weißkitteln und mir. Ok. Mir wird der Arm abgebunden, ich schaue weg, will nicht sehen, auf was ich mich da einlasse. Ich linse dennoch mit einem Auge auf den Arm und was sehe ich? Ein gummiähnliches, aufgeblasenes Etwas steht seitlich etwas ab. Ein (gefülltes) Kondom? Ich starre neugierig/entsetzt nur noch auf dieses Gebilde! Ich finde die Situation nunmehr eher lustig als bedrohlich und fange an zu gnickern.....mein Weißkittel fängt an, mich nach meinen familiären Verhältnissen zu befragen, ich antworte sogar, find alles witzig, nur weiß ich nicht, was ich überhaupt gespritzt bekomme, denke aber, sicher eine antiallergische Dröhnung. Ok, er sucht ziemlich lange nach der Vene. Ich denke, meine Güte, schieb das Ding endlich rein und gut is. 
Irgendwie schafft er es und nimmt das ominöse Gummiding ab - und siehe da, es ist ein Gummihandschuh (was sollte man auch sonst nehmen?),  ich grinse mir einen...

Ich frage meinen Behandler, was denn nun weiter mit mir geschehen würde. Ja, jetzt müsse ich noch zum Arzt. Ich erstarre. Zu einem Arzt? Was zum Teufel ist denn er??? Ich will's nicht mehr wissen und rausche raus. Aber wohin bloß? Chaos wie vorher auf allen Gängen. Da, ein Zimmer mit einer Nummer 2. 
Ich solle mich einer ca. 15 Kinder-, Frauen-, Männerschlange anschließen. Im Sprechzimmer (Tür steht offen) ein Minischreibtisch, Papiere, 1 Stempel mit Stempelkissen, wie sich herausstellt, ein sehr gefragtes Utensil. Die Menge quetscht  sich wieder langsam in diesen Raum. Ach, da sitzt ja die kleine Weißgewandete mit schwarzem Kopftuch, also scheinbar wirklich die Ärztin. Um Himmels Willen, wie komme ich da rein und vor allem wann? Der Raum füllt sich minütlich.  Eine in einem rosa Bademantel auf einem Bein humpelnde Frau wankt aus dem Raum, stürzt sich auf meinen Nachbarstuhl. Bin ich hier im Panoptikum? Also Sitzen bringt hier gar nichts. Die Ärztin ist mittlerweile komplett verschwunden, dafür stehen aber mehr als 10 Personen um ihren Schreibtisch herum. Ich kriege einen Lachanfall. In der Zwischenzeit kommt mehrmals ein Securitymann, nimmt sich den Stempel, knallt ihn auf einen Fetzen Papier und rauscht von dannen. Ich überlege, es ihm gleichzutun, wenn ich nur wüßte, was ich für ein Medikament brauche.

Nach ca 20 Minuten erscheint die Ärztin, schmeißt wieder alle raus, ich folge ihr auf den Fersen, bedränge sie mit Fragen und ob ich ein Rezept bekäme oder nicht. Antwort: Natürlich müsse ich ein Medikament bekommen. Sie fragt nach meinem Namen und Alter. Annette reicht ihr als Antwort, sie kritzelt irgend etwas auf einen Zettel, knallt den Stempel drauf und ich solle mich vom Acker machen. Von Bezahlung der Spritze ist nicht die Rede.  Ich weiß immer noch nicht, was ich denn nun habe. Aber Diagnosen werden auch wirklich überbewertet.....

Wieder durch lange Gänge zur Krankenhausapotheke. Ein Lager,  wie früher Aldi in den Anfängen. Ne, DAS Medikament hätten sie nicht, also ab in den Ort zu einer der gefühlten 100 Pharmacien in Guelmin. In der 2. hat man die Medizin, eine süße Flüssigkeit, keine Ahnung, was das ist. 

Neben mir spricht mich ein älterer Marokkaner, Hamid, in fließendem Deutsch an. Er hat mein Auto mit der Nummer gesehen und ist mir scheinbar in die Apotheke gefolgt. Er kommt tatsächlich aus Laatzen IN Hannover, bringt immer Autos von Hannover nach Mali. Scheint immer noch ein gutes Geschäft zu sein.....
Egal, er erklärt mir erst mal, was ich denn nun habe. Wäre vollkommen klar: Läuse. Ach ja? Na gut, oder auch nicht. Wenigstens einmal in meinem Leben Läuse zu haben, ist ja auch was. 
Hamid ist wirklich sehr nett und wir trinken einen Tee im Café. Er rät mir zu einer sofortigen Hamamm-Behandlung sowie einer totalen Reinigung meines kompletten Autos, meiner Kleidung. Er kenne "zufällig" eine Frau, der ich vertrauen könne. Ich freue mich auf eine Komplettreinigung und bin einverstanden. 

Er fährt mit Moped vorweg und ich düse mit meinen 3,5 t durch Minigässchen, werfe fast Verkaufsstände um, überfahre Fahrradfahrer (Scherz) und wir holen die Dame in einer dubiosen Straße ab. Sie steigt bei mir ein und wir fahren zum Großparkplatz Marjane. Das nächste Chaos beginnt: sie entfernt fast alles aus meinem Auto: Bettzeug, Bett, Teppiche, Tücher, wäscht meine Klamotten, sprüht alles mit Desinfektionsmittel ein (welches ich glücklicherweise dabei habe). Meine Klamotten werden vor Ort gewaschen. Auf dem Parkplatz wird sicher das ein oder andere Wohnmobil gestaunt haben über die reinliche Frau aus Hannover. Der hannoversche/marokkanische Hamid kommt und kontrolliert, ob auch alles in Ordnung geht. 
So langsam finde ich seine Aufdringlichkeit nervig. Wann kommt es? Ja, dann rückt er raus. Ob er ein paar Infos von mir an einen seiner Bekannten ( mit Heiratsabsichten )in Hannover geben dürfe. Hä? Was für Informationen? Ich glaub, ich spinne. Ne, das geht natürlich gar nicht. Ich bin doch sowas von verheiratet! Er gibt mir seine Tel.Nr., fragt nicht nach der Meinigen, puh, welch Glück! 

Ok, die Putzdame ist fertig und wir fahren zurück, holen in ihrem Hause die Körpermittelchen und ab geht's ins Hamamm. 
Dieses Waschhaus für Frauen besteht aus 4 Räumen: einem Ankleideraum und 3 dunklen, jeweils immer heißeren Räumen (saunaähnlich), in denen Frauen auf dem Boden hockend sich selber bzw gegenseitig waschen und mit Kratzhandschuhen abrubbeln. Nun werde ich also mit diversen Mittelchen eingerieben und abgeseift. Natürlich bin ich als Europäerin DAS Ereignis in dem Hamamm. Aber es gefällt mir super und ich genieße es,  so komplett sauber zu werden wie noch nie. Und vor allem ist es sooo toll, an meinen immer noch juckenden Pickelstellen abgerubbelt zu werden. Ich stöhne leise vor mich hin: weiter, mehr, das tut ja sooo gut! Na, was denkt ihr denn wieder? Pfui! 

Nach 2 Stunden bin ich komplett erledigt und wanke mit Kreislaufproblemen nach draußen. Die Bezahlung beträgt  39 Euro für alles. Leider bekommt die gute Frau aber sicher nur einen Minianteil, den Hauptteil der Kohle sackt der Typ ein. Sauerei! 
War DAS ein Tag! 

Inzwischen wird mir gesagt, meine roten Schwellungen seien entweder Flöhe bzw Sandflöhe, die man hier leicht bekommen könne, nichts Besonderes für Marokko. Kann sein, dass ich diese Pickel nun noch bis zu Hause "genießen" darf. 
Aber - die Geschichte war's Wert. 

Eingang zum Krankenhaus in Guelmin

Die gute Putzfee und Hamammfrau

Große "Entflohungsaktion"