27. August 2012

Dramatik im Himalaya


Fahrt von Tabo nach Rekong Peo 
und am nächsten Tag von Rekong Peo nach Shimla
- die Horrorfahrt schlechthin

Und nun wird's  touristenmäßig etwas einsamer, da die meisten Besucher Spiti's entweder nur bis Tabo fahren und danach wieder zurück Richtung Manali oder sie kommen aus der Richtung, in die ich fahre. Entsprechend befinden sich in meinem Bus  ausschließlich local people. Nach mal wieder 10 Stunden komme ich "gerädert und geschunden" in dem schrecklichen Ort Rekong Peo an. Ich bin mal wieder völlig fertig und schleppe mein Gepäck irgendwie den Berg hoch. Ich nehme das einzige "Hotel", das wenigstens ein bisschen annehmbar aussieht. Aber das scheint auch nur so zu sein.... Ich zahle 500 Rs, habe KEIN Wasser, total schmutzige Bettwäsche, von dem "Badezimmer" möchte ich nicht weiter sprechen. Es ist bei Weitem das schlimmste Zimmer, das ich je in Indien gehabt habe. Bin ich mal wieder glücklich, meinen "traumhaften" Vliessack zu haben.

Ich habe nun wirklich keine gute Laune mehr, esse irgendwie irgendwo etwas und haue mich "vorsichtig" auf mein entsetzliches Nachtlager. 
Ich ahne noch nicht, dass der nächste Tag der schlimmste Tag in meiner langjährigen Indienerfahrung werden soll. 

Ich stehe um 7.00 Uhr auf dem Marktplatz und frage nach dem angeblich stündlich fahrenden Bus nach Shimla. Ein zufällig dort stehender Jeep mit 2 Indern gibt mir die Auskunft: No bus today, street to Shimla is blocked (wegen Erdrutsch). Na, klasse, nun muss ich doch noch einen ganzen Tag in diesem Sch....Ort bleiben. Ein endloses Palaver beginnt, bis sie sich bereit erklären, mich zum öffentlichen Bushaltepunkt zu fahren. Und siehe da, Auskunft: Ein Bus fährt bis zur Blockade, dann über "das Hindernis" klettern, dann weiter mit dem nächsten Bus nach Shimla. Da ich unbedingt wieder in die Zivilisation will, hält mich nichts auf, ich will sofort und auf der Stelle nach Shimla (ihr wisst ja, wenn Annette will, gibt's kein Hindernis, das nicht zu überwinden wäre...).

OK, der Wrackbus fährt um 8.30 Uhr los. Mich beschleichen merkwürdige Gefühle der Bedenken und ich habe Schiss. Wie kriege ich meinen inzwischen "zentnerschweren" Rucksack und die vielen Kleinteile über das Hindernis? (an dem immer größer werdenden Traveller-Wettbewerb: Wer hat den leichtesten Rucksack mit dem wenigsten Gepäck beteilige ich mich nicht :-)) Wird mir einer helfen? Klaro, die lassen mich doch nicht  alleine mit dem Gepäck über die Steine klettern. Ich bin natürlich die einzige "Außerirdische" im Bus. Wir fahren ca. 1 Stunde bis zu einer Brücke und allgemeine Unruhe entsteht, ich sehe Autos, Trucks, Busse am Straßenrand warten.

OK, nun geht's also los. Der Weg sieht sehr übersichtlich aus, sozusagen "gekehrt". Alle Busgäste scheinen irgendwie in Hetze zu sein und hauen ab, machen sich auf den Weg und sind irgendwie weg. Ich bin die Letzte, die sich aus dem Bus "schleppt", im wahrsten Sinne des Wortes. Alle rennen, warum auch immer, ich verstehe nichts. Ich habe den kleinen Rucksack auf dem Rücken, eine "Freßtasche" mit Wolldecke unter dem Arm, meine kleine "Überlebenstasche" über der Schulter und natürlich ziehe ich den großen Rucksack auf Rollen über Sand, Steine hinter mir her. Ihr könnt euch das Bild sicher gut vorstellen (natürlich gib'ts kein Foto davon). Ich sehe keine Blockade, nur in weiter Ferne Leute und Busse warten. DAS muss also hinter dem Erdrutsch sein. Weit und breit kein Mensch, der das macht, was ich mache, alle schauen nur aus der Ferne vor bzw. hinter mir interessiert zu. Ich ziehe, wuchte, gehe in aller Seelenruhe und bin fassungslos vor Entsetzen, weil sich alle aus dem Staub gemacht haben und KEINER, aber auch wirklich keiner Anstalten gemacht hat, mir zu helfen. Ich ziehe, schleppe, bleibe stehen, schaue mich um, hab noch relativ viel Ruhe, keiner folgt mir. Plötzlich eine Absperrung, ein Arbeiter will mich nicht durchlassen. Ich brülle nur noch, dass ich zu den Busgästen gehöre und hinter denen her will, lasse mich natürlich von dem Typen nicht hindern, weiterzugehen. Der Erdrutsch ist immer noch nicht zu sehen.  Ich wundere mich nur, dass ich alleine bin...., merke immer noch nichts. Manchmal bin ich einfach zu blöd und naiv...

Plötzlich höre ich hinter mir einen rennen (der zuständige Busbegleiter). Er reißt mir meinen Rollrucksack aus der Hand und rennt und schreit, ich solle mich beeilen. Immerhin froh, dass sich dann doch noch einer meiner erbarmt, gehe ich wenigstens ein bisschen schneller. Endlich bin ich bei dem Erdrutsch angelangt, die Stelle ist abgesperrt mit einem "Seilchen". Der Mann trägt nun meinen Rucksack und ich schleppe mich hinter her, steige über die gewaltigen Steinberge, stolpere, jachte weiter. Allmählich bekomme ich nun doch mit, dass Irgendwas im Busche ist, sonst wären die nicht alle so nervös. Wir sind drüber weg und ich renne nun auch zu den Wartenden auf der anderen Seite. Geschafft! Die ganze Aktion hat so ca. 10 bis 12 Minuten gedauert.
Ich stehe also irgendwie dort rum - und nach ca. 3 Minuten knallt's gewaltig, eine EXPLOSION, dann noch eine, dann noch eine. Alles springt selbst hier noch zur Seite und bringt sich in Sicherheit. ENDLICH begreife ich! DIE SPRENGEN den Weg frei und ich sollte DESWEGEN so schnell wie möglich aus dem Weg, da alles schon startklar war. Und sicher hat auch keiner weiter mitbekommen, dass ich dort noch mutterseelenallein auf dem Weg war! Mich überläuft es kalt! Meine Güte, was war ich in Gefahr! Ich krieg mich gar nicht mehr ein.  Jetzt endlich wird mir die Tragweite bewusst!

Und KEINER der Busreisenden hat auch nur Anstalten gemacht, mir irgendwie zu helfen! WO bin ich hier, in welchem Land, mit welch gleichgültigen, egoistischen Menschen? Was haben diese Inder für eine Moral? Ich bin nur noch entsetzt und der Schock sitzt tief. Wenn ich auch kein Deutschlandfan bin, so bin ich doch der tiefen Überzeugung, dass dies bei uns nicht passiert wäre. Ich weiß, auch bei uns kümmern sich die Menschen manchmal nicht umeinander und sind gleichgültig, aber ich bin auch sicher, dass in solch einem Fall irgend jemand mich bzw. mein Gepäck geschnappt hätte und mir geholfen hätte, diese Situation zu bewältigen. Zumindest hätte ich das mit JEDEM Menschen in dem Bus getan, ich hätte nicht mal eine Sekunde überlegt, reflexartig hätte ich gehandelt.
Diese Geschichte ist für mich noch nicht vorbei. Es wird noch dauern, bis ich diese Situation verarbeitet habe....

Übrigens hab ich natürlich keine Bilder von dieser ganzen Situation. Da war nix mehr mit Fotografieren, da galt es nur noch, die Lage zu meistern und hinter sich zu bringen.

Die Fahrt geht endlos weiter, Wetter wird immer blöder, bis ich endlich in der Dunkelheit im wolkenverhangenen Shimla ankomme. Mit Taxi zum einigermaßen netten, und vor allem sauberen Hotel, ins Bett und nix mehr hören und sehen. Ich bin weniger fertig als dass ich unendliche Wut und Aggression habe, was sich Stück für Stück wieder legen wird, das weiß ich.
Ich bleibe jetzt ein paar Tage in Shimla. Das Wetter ist nur feucht, es regnet, d.h. es schüttet nur noch
. Egal, ich genieße das gute Essen und die Millionen indischen Touristen....


Mein Indien-Bild ist, wie ihr schon bemerkt habt, seit geraumer Zeit dabei, sich zu verändern. Ich frage mich wirklich: Wo ist das Indien von vor 15/20 Jahren geblieben? Wo sind die ehrlichen Inder, gibt es die noch? Gibt es irgend etwas auf der Welt, was die Inder NICHT für Geld tun? Der Ausverkauf und das Verramschen der Religionen und Ideologien an westliche Suchende ist im vollen Gange. Ist die Freundlichkeit der Bevölkerung nur vorgetäuscht wegen MONEY??? Sind wir nur beliebt wegen der Devisen, die wir nach Indien bringen?? Wo bleiben die Werte der asiatischen Gesellschaft - oder anders gefragt: gehen Werte unserer gesamten Welt so allmählich verloren? Ich verschlinge zur Zeit alle philosophischen Bücher von Richard David Precht (für nachdenkliche Leute Pflichtlektüre!!!) . Vielleicht bin ich deshalb so drauf zur Zeit, don't worry :-). 
 
Ich werde zu der Entwicklung Indiens bzw. Asiens in den letzten 20 Jahren aus meiner Sicht am Ende dieser Reise Stellung nehmen und sehen, zu welchem persönlichen Schluss ich kommen werde. Vielleicht neigen sich meine Asienreisen so langsam dem Ende entgegen....oder ich finde meine verloren gegangene Liebe zu Indien und Asien wieder, wer weiß....

immer haarscharf am Abgrund entlang
teilweise auch mal gute "Straßen"verhältnisse
Spiti River
es geht wieder durch tiefes Wasser am Abgrund entlang



es geht wieder nicht weiter, Erdrutsche
(aber nicht der Besagte)
Frauen, mit Kindern auf dem Rücken!!!! arbeiten am Straßenrand
eine Brücke ist durchgekracht. Ein Weg muss her!
Steine werden von den Frauen herangeschleppt. 
übrigens "schieße" ich die meisten Landschafts- und Straßenbilder während der
stürmischen und rappelnden Fahrten.
Ich finde, dafür sind die Bilder recht klar und deutlich, nicht wahr?

Arbeiten stemmen Löcher in den Berg, um
den Weg breiter, also befahrbar zu machen.
Unterdessen hupen Bus- und Truckfahrer -
als ob DAS was nützen würde, zu dämlich!
Bergarbeiter bei der beschwerlichen Arbeit
es kracht donnernd ein "neuer" Wasserfall herunter,
entstanden durch die Regenmassen in den letzten Tagen und Wochen
kurz vor Shimla, es wird grün, weil wir in tieferen Regionen sind

immer noch der Spiti River 


26. August 2012

Von Kasa über Dankar nach Tabo, Spiti

Post vom 22.08.2012

Die Fahrt von Kasa nach Tabo in Spiti ist wieder spektakulär, wie man auf den Bildern sehen kann. Den Abend vorher höre ich wieder die größten Horrorgeschichten von der Fahrt von Keylong nach Manali. Sogar die Einheimischen raten von der Fahrt im August ab, da sie so gefährlich sein soll wegen der gewaltigen Erdrutsche. Reihenweise stürzen Trucks durch die Schlammmassen in den Abgrund. Wie soll es da erst mal den Motorradfahrern gehen, die ebenfalls massenweise unterwegs entweder in die eine oder andere Richtung sind? Meine Fahrt durch ganz Spiti den Himalaya hinunter dauert zwar länger, aber soll trockener und sicherer sein. 

Mein Taxidriver bringt mich zuerst nach Dankar (ein tolles, ca. 800 Jahre altes Kloster, in dem gerade ein Frauentreff stattfindet und ich schöne Fotos machen kann). Es geht weiter nach Tabo. Im Auto stelle ich mit dem Fahrer gewisse Musikliebhabereien fest und wir hören mit meinem MP3-Player meine indische bzw. tibetische Musik. Er ist hin und weg und wir genießen beide die Landschaft und die passende Musik. Tibet liegt nicht mehr als 20 km entfernt. 

Tabo selber ist unspektakulär, das einzig Interessante ist das 900 Jahre alte Kloster direkt im kleinen Örtchen, was sehr ungewöhnlich ist, da Klöster zu 99 % oben auf einer Bergkuppe angelegt sind. Die Wandmalereien sind sicher klasse, aber wenn man, wie ich, Burma kennt, dann hauen diese einen nicht so ganz um. In Indien ist dies das älteste Kloster. 

Ich beschließe, am nächsten Tag mit local bus weiter nach Rekong Peo zu fahren.  Bilder der  gefährlichen Wege zu diesem Ort im nächsten Post. Tja, und dann schreibe ich auch von den dramatischen Ereignissen im Himalaya, von denen ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts ahne...

damit ihr mal die Schlammstraße sehen könnt.
so geht es Hunderte von Kilometer durch den Himalaya
ein Laster ist im Schlamm umgekippt, nichts Ungewöhnliches in dieser Jahreszeit
Spitzberge in Spiti




Kloster Dankar liegt oben rechts auf der Kuppe des Berges




ein religiöses Treffen von Frauen und Kindern im Dankar Kloster
auch die Mädchen haben schon die Aufgabe, ihre kleinen Geschwister herumzutragen

und immer werden die Gebetsmühlen gedreht und mit den Gebetsketten gebetet, auch wenn
man dabei ein Schwätzchen hält...



weiter geht's immer am Fluss entlang nach Tabo
900 Jahre altes Kloster in Tabo, das Älteste in ganz Indien


Kyi-Monastery and Kibber bei Kaza



Post vom 21.08.2012

Es geht mir glücklicherweise besser und ich kann auf Tour gehen. Ausnahmsweise genehmige ich mir ein Taxi, weil die Sache mit dem Bus hier in Kasa nicht so einfach ist und ich glaube, ich habe es mir verdient, mal ausnahmsweise den einfacheren - und vor allem den nicht so frühen Weg der local Busse zu gehen :-). 

Zuerst jedoch muss ich mein Permit holen für die Fahrt nach Shimla. Also die übliche Warterei im local office - weil die Lady so früh (10.30 Uhr) noch nicht arbeiten möchte. Sie hält lieber noch mit ihren Kolleginnen einen längeren Plausch und schließt ihre Bürotür nicht auf, obwohl ich neben ihr stehe (sie sitzt gemütlich auf dem Boden neben ihren "Freundinnen oder Kolleginnen" (nobody knows) und sie sieht, dass mehrere Leute auf sie warten. Nach ca. 20 Minuten bequemt sie sich, die Tür aufzuschließen, wischt minutenlang ihren Tisch in unserem Beisein, lässt sich von meinem Taxidriver die Unterlagen aus dem Schrank holen,  lässt sich von ihm die beiden Passfotos auf die entsprechenden Stellen kleben und ist so "freundlich", ein paar Stempel auf die Unterlagen zu drücken.  Es gibt sehr viele, arbeitsscheue und dreiste Leute in Indien, das muss ich immer wieder feststellen. 

Die Fahrt ist spektakulär. Im Gegensatz zu Kasa, dem Hauptort, finde ich die Provinz Spiti klasse. Die Gegend ist anders als in Ladakh, die Berge stehen enger zusammen und tiefe Schluchten beeindrucken mich sehr. Zuerst geht es zum Kloster Kyi. Hier in Spiti gibt es die ältesten Klöster ganz Indiens. Dieses ist 800 Jahre alt, toll. Anschließend durch die phantastische Landschaft in die Ortschaft Kibber. Ein süßer, kleiner Ort. Hier hätte ich auch übernachten können. Es wäre sicher ruhiger gewesen als in Kaza. Aber - wie bereits erwähnt, war bzw. bin ich ja noch recht angeschlagen durch den Truck-Tag (Selber Schuld). 

Morgen werde ich auch mit Taxi zum ältesten Kloster nach Tabo fahren, dort übernachten und dann irgendwie, irgendwann weiter Richtung Shimla. 

Kyi Monastery









bei den Mönchen werde ich mal wieder zum Tee eingeladen.


die Mönche kommen vom Mittagessen




mit dieser Kiste werden in Spitzenzeiten 6 Leute ans andere Ufer transportiert.
Ich habe lange überlegt, ob ich zus. mit meinem driver diese "Fahrt" antrete,
letztendlich hab ich mich dagegen entschieden.....
das Seil wird über den reißenden Fluss gespannt
Zur Zeit wird eine Brücke über diese Schlucht gebaut


wo kann man schon einen Freund über den ganzen Ort am anderen Ende begrüßen?
 
Kibber ist ein total abgelegener Ort in Spiti