13. Mai 2018

2006/2007 Sylvester Livigno im Wohnmobil

Winter im Wohnmobil 2006/2007 in eisigen Temperaturen 

Wo und wie bin ich? Seit 3 Jahren weile ich über die Jahreswende mit meinem Hexenmobil in einem Tal zwischen Österreich/Schweiz/Italien, nämlich im zollfreien Ort Livigno, Italien. 

Alles fing vor 3 Jahren an mit einem Bericht im Internet: "Klein-Tibet in Europa. Sylvester im Wohnmobil bei 30 Grad minus". 
So etwas reizt natürlich einen zu Extremen neigenden Hexenkörper. Alles nur eine logische Entwicklung: Sommer in den Höhen des Himalaya's, also im Winter dem nimmer endenden Abenteuerdrang nachgeben und in schneereiche Gefilde ziehen.  

Nichts einfacher als das: Mein Hexenmobil - T 4 winterfest machen, Schneeketten griffbereit legen. Noch einmal Männer-Schnellkurs zum Anbringen dieser Dinger! Langlaufskier wachsen. Lebensnotwendiges Futter für den Körper und Literatur für den Geist einpacken sowie Musik für das stimmige Körpergefühl. Kerzen! Und Decken, Decken, Decken. Denn mein wärmeverwöhnter Körper mag solche Außentemperaturen auch nur in Grenzen. 

Wie immer begleiten mich ein paar Gefährten der Mitfahrzentrale bis Ulm. Eine lustige Fahrt in den Süden beginnt. Nach 600 km fordert mein "Besen" auf Rädern ein paar Stündchen Ruhe. Die soll er bekommen. Auch die Hexe freut  sich auf eine Mütze voll Schlaf auf einem süßen, ruhigen Hügel über einem Friedhof bei Memmingen. Was für einen beschaulichen Platz haben die hier Gebetteten. Dennoch bin ich dankbar für meinen lebendigen Zustand und schlafe selig ein. 

Der nächste Tag beschert der Scheeentgegenfiebernden das erste Glücksgefühl. Kurve um Kurve düse ich durch das grüne
Engadin. Dieses Jahr ist es ungewöhnlich mild wie überall in Europa, fast nirgendwo findet sich das ersehnte Weiß. Nähere mich dem Tal der Täler. Bis ich endlich mitten auf einem Pass vor einem dunklen Loch stationieren muss. Erst erreichen die entgegenkommenden Vierrädrigen die Freiheit. Ich winde mich nach dem letzten Gefährt einer Raupe gleich durch die enge Röhre. 

Nach 3.700 m wartet das Paradies auf mich. Links und rechts emporragende Berge. Ein 9 km ins Tal schlängelnder See erhöht noch das steigende Glücksgefühl. Und endlich kostbarer Schnee!! Wenn sich auch diese Jahr nicht die gewohnten Mengen durch's Tal wälzen, so bin ich doch glücklich über 20 cm dieses winterlichen Gutes. 

Mein Bus findet seinen wohlverdienten 10-tägigen Winterschlaf außerhalb des Ortes auf einer kleinen Anhöhe neben seinen Artgenossen. Meine Freunde sind bereits da und das Hallo ist groß. Nun heißt es erst mal Einrichen. Das bedeutet: Anschließen an die Elektrizität. Scheiben von innen und außen mit dicken Alu-Matten bedecken, mobile Womo-Zusatzheizung anschließen, Boden mit Thermomatten auslegen, Küche und Wohnraum gemütlich gestalten, lebensnotwendige Musik in Gang setzen. Der aus Hannover mitgebrache Tannenbaum wird im Schnee platziert, mit Kerzen ausstaffiert und der Genuss dieses Anblicks kann vom mobilen Wohnraum aus beginnen. Nicht zu vergessen: Wo Annette stationiert, müssen natürlich auch buddhistische Fahnen hängen. Also erhält der weiße Bus ein tibetisches, buntes Kleid. 


Am nächsten Tag erscheint um 10.10 Uhr die lachende Sonne und erfreut uns die nächsten 7 Tage. Wir frühstücken im Schnee und genießen das Leben. Manch einer unternimmt Abfahrtsskifahrten, mancher gleitet mit Schneeschuhen durch neu-gefallenes Weiß. Wieder andere genießen das Skaten mit Langlaufskiern. Jeder nach seinem Gusteau. 

Die meisten Winterreisenden können sich schwer einen Wohnmobilaufenthalt bei oftmals minus 33 - 38 Grad vorstellen. Ich kann nur sagen: Es ist ein Genuss der besonderen Art! Abends ist es interessanter, auf den Temperaturanzeiger zu schauen als in die Glotze. Wenn es 20 minus sind, wird's erst richtig spannend. Es wird gewettet, welche Temperaturen uns das Wetter diese Nacht bescheren wird. Gemütlich bei Kerzenschein, gutem Essen und Gesprächen oder spannendem Buch lässt es sich aushalten. In meinem Bus ist es meistens so wohlig warm, dass ich im T-Shirt koche. Mein "Badezimmer", bestehend aus einem klappbaren Waschbecken, einer Toilette und einem Kleiderschrank, wird nicht beheizt. Dies ist meine Eiszelle, prädestiniert zum Einfrieren von Lebensmitteln. Sie sind bei Außentemperaturen von minus 30 Grad innerhalb von 60 MInuten gefroren. Im Gegensatz dazu ist der Kühlschrank eine Sauna, wohlige 4 Grad. Klar kann es auch mal passieren
(wenn ich nachts eine der Heizungen ausschalte), dass über Nacht mein Gas in der 5 l Gasflasche einfriert. Dann muss ich eben auf meinen heißen Tee warten bis die Sonne kommt. Ich nehm's mit Humor. Normalerweise habe ich fließendes Wasser einschl. Frischwasser- und Abwassertank. Aus Erfahrung weiß ich, dass das Wasser durch die außen-liegenden Tanks sofort gefriert. Also nutze ich mobile Kanister mit Wasser, was auch nur wenig störend ist. Frau ist ja flexibel! 

Manchmal friert die Schiebetür so ein, dass sie nicht mehr zu schließen ist. Ein Türschlossenteiser hilft, sie wieder gangbar zu machen. Im ersten Jahr ist das restliche Wasser in der Wasserleitung gefroren, hat den Wasserhahn hochgedrückt und demoliert. Tja, kann passieren, aus so etwas lernt man. 
Eine Decke wird vor die Schiebetür gehängt, damit keine Kaltluft eindringen kann. Die sanitären Anlagen auf diesem Stellplatz sind vorzüglich und ich muss auf nichts verzichten. Allerdings - ich muss zugeben, ich bin immer wieder froh, dass ich über eine exzellent funktionierende Blase verfüge. So erspare ich mir ein unangenehmes, nächtliches Geschlittere zum Klo. 

Sylvester mit Lagerfeuer und Grillen
In diesem Winter ist alles ein bisschen moderater. Die tiefsten Temperaturen liegen nachts bei minus 15 Grad. Am Tag kommen wir in die Sonne auf plus 5. Wenn sie um 15.00 Uhr hinter den Bergen verschwindet, wird es vorübergehend ungemütlich und wir verziehen uns erst mal in unsere Räumlichkeiten. Trinken Cappuccino. Dann Bummel durch den Ort. Zollfreie Waren genießen: Alkohol, Zigaretten, Parfüm etc. fordern geradezu dazu auf, aus ihren Schaufenster erlöst zu werden. Übrigens - Diesel 0,65 Euro!! Da kommen einem glatt die Tränen, wenn man an die deutschen Tankstellenpreise denkt. Oft komme ich keuchend und schleppend aus dem Ort zurück. Der anschließende Genuss ist köstlich! Abends trifft man sich im Zentrum der Mobile und es wird getalkt, gescherzt und getanzt. Nachts, liegend in meinem  Hochbett, schaue ich auf meinen Tannenbaum und auf den monderleuchteten, glitzernden Schnee. Es klopft und einer ruft: Mach's Fenster auf, wir haben was für dich. Ein Gläschen eisiger Limoncello oder heißer Bombardino fliegen ins warme Bett. Wir machen noch eine Runde Blödsinn! Kann's mir noch besser gehen?

Es wird im großen Aufenthaltsraum traditionsgemäß ein Ballon gebastelt, der am Neujahrstag seine Reise in den azurblauen Himmel beginnt. Sehnsuchtsvoll verfolgen wir seinen Flug über die Berge. 

Auf einem der umliegenden 3.000 m hohen Berge komme ich mir vor wie im richtigen Himalaya. Es ist einfach traumhaft. 

Witzig ist, wenn nach Tagen des Stehens der erste Wohnmobilfahrer sein Auto starten will. Ein richtiges Großereignis. Alle rennen hin, um entweder Starthilfe zu leisten oder sich an dem Anblick des qualmenden Ungetüms zu erfreuen. 


Ich bin auch wie jedes Jahr fürchterlich aufgeregt, ob meine "Hexe" anspringt. Aber - no problem wie die Inder sagen. Alles paletti. Seit dem 1.1.2007 schneit es, wir einen richtigen Schneesturm. Und ich muss bei inzwischen hohem Schnee gen Heimat! Schließlich warten die Messen 2007 auf mich. Ach du liebe Güte! Manche sagen: Schneeketten aufziehen, andere meinen: Nein, meine guten Winterreifen reichen aus. Ich lasse es darauf ankommen und düse ohne Ketten los. In den Tunneldurchfahrten geht's auch noch gut. Aber dann kommt die Passabfahrt den Ofenpass hinunter, oh Himmel! Da flattern mir doch die Knie. Straßen völlig vereist und rutschig. Ein Schneeschieber kommt mir entgegen. Das Ungetüm mein: du oder ich! Es ist sich der Kraft des Stärkeren bewusst und nimmt sich den Vortritt. Ich muss bremsen, rutsche dabei so gaaanz langsam an die Leitplanke. Rechts geht's so mal eben lockere 300 m runter. Na toll. Ich komme zum Stehen. Den Monsterlenker begleiten meine Flüche bis ins Nirvana. Mit ziemlicher Anspannung bringe ich die anstrengenden 2 Stunden durch den Schweizer Engadin hinter mich. 

Nach 900 km erreiche ich wieder den schneelosen, tristen Norden. Ich bin glücklich, wenigstens einmal in diesem Winter das kostbare Weiß genossen zu haben. 

Annette Weirich 2007