Das Einzige, was ich über die Andamanen wußte, war, dass sie
irgendwo im Golf von Bengalen liegen, weit und breit von jedem Festland
entfernt, früher mal Sträflingskolonie von Indien und übersät mit
Ur-Einwohnern, die Neuankömmlinge mit Giftpfeilen begrüßen. Mehr war mir bis
vor einem halben Jahr nicht über diese Inselchen bekannt. Grund genug, sie
einmal näher kennenzulernen. Also, nichts wie hin.
Interessanter wäre es natürlich gewesen, wenn ich die
3-tägige Schiffsfahrt nach Port Blair
- Hauptort der Andamanen, gebucht hätte. Da ich mich aber auf Schiffen
üblicherweise mehr mit dem „Füttern der Fische“, halb sterbend über der Reling
hängend, beschäftige als mit meiner Umgebung, entschloss ich mich dann doch,
das große Loch in meine Urlaubskasse zu reißen und den Hin- und Rückflug –
immerhin 400 $ für je 2 Std. Flug - zu buchen, in der Hoffnung, dass man mich
weder einbuchten würde noch wollte ich von einem Giftpfeil getroffen werden
(immer wieder heimlich gehegter, auf mich bezogener Wunschtraum einiger
Arbeitskollegen).
Kurz zur Historie:
Im frühen 18. Jahrhundert bereitete Admiral Angre auf den Andamanen seine
Überfälle auf europäische Seeflotten vor. Dann übernahmen die Briten das
Regiment und etablierten 1857 die gefürchteste Sträflingskolonie ganz Indiens.
1947 wurden die Inseln in die Indian Union im Rahmen der Unabhängigkeit von
Indien mit eingeschlossen.
Es ist ein Archipel von 572 tropischen Inseln, gestreut über
eine Länge von 700 km mitten im Golf von
Bengalen zwischen Indien und Myanmar
(Burma), 1190 km von Madras entfernt. 280.000 Menschen leben auf nur 38
Inseln; ansonsten prägen einsame weiße Strände und immergrüner Dschungel das
unberührte Paradies. Bis in unser Jahrhundert lebten einzig sechs kulturell
verschiedene Stämme in der Abgeschiedenheit. Heute machen die Ur-Einwohner noch
20 % der Bevölkerung aus. Der Rest der Bewohner setzt sich aus Einwanderern aus
den div. asiatischen Umländern zusammen. Während Indien lange Zeit versuchte,
diese „Primitiven“ durch die Einwanderung vorwiegend von Tamilen zu
zivilisieren, sind die Stämme der Nikobaren und nördlichen Andamanen heute vor
dem Zugang von Fremden geschützt. Wer dieses Verbot mißachtet, riskiert es auch
heute noch, vom Giftpfeil eines Einheimischen begrüßt zu werden, was, wie mir
erzählt wurde, mindestens 2-3 Neugierige pro Jahr betrifft. Gefahrlos besuchen
kann man hingegen die südlichen Andamanen mit dem Hauptort Port Blair. Bei der
Einreise bekommt man ein 30-Tage-Permit, das erlaubt, nur auf die bestimmten
Inseln zu reisen.
Nach dem herrlichen Flug über die vielen einsamen Inseln im
grün/blauen Wasser kommt erst einmal der Schock. Ich denke, ich glaub’s nicht.
Ein Ort wie manche indische Großstädte – stinkend, lärmend, volle Straßen.
Warum zum Teufel habe ich bloß so viel Geld für so etwas bezahlt, frage ich
mich, verzweifelt auf der Suche nach einer erträglichen Unterkunft. Die auf dem
Flughafen gesehenen Backpacker – immerhin doch ca. 10 – 15 Leute – sind alle
plötzlich verschwunden. Die Hotels sind voll – it’s Christmas time, my lady,
wird mir immer wieder gesagt. Na, das fängt ja gut an. Ich ergattere
schließlich ein Zimmer, habe dann auch schnell das für mich inzwischen
lebensnotwendige Fortbewegungsmittel in Indien – einen Roller. Die ersten
Fahrversuche hatte ich bereits auf dem Festland in Indien schon hinter mir
inmitten von Rikschas, Lastkarren, stinkenden LKW und hupenden Busruinen,
dazwischen ein paar Elefanten und jede Menge Kühe, alles in einem wirren Knäuel
ineinander verstrickt. Wer das überlebt, den schafft nichts mehr. Im Gegenteil,
nach einer Zeit wagte ich es sogar mit meinem kleinen motorisierten Gefährt,
mich mit einem Auto bzw. Bus anzulegen, indem ich den entsprechenden Gegenpart
genauso versucht habe wegzuhupen wie umgekehrt. Irritierte Blicke der
jeweiligen Fahrer störten mich immer weniger. Frau muß nur selbstbewußt und
dreist genug sein. Dies nur ein kleiner Ausflug zum Thema Mopedfahren in
Indien.
Irgendwie überstehe ich auch die 2 Tage in Port Blair, bin
jedoch völlig niedergeschmettert, denke mit Schrecken an Weihnachten und
bedaure mich selber mit dem Gefühl, dass man auch manchmal einsam sein kann auf
solchen Reisen. Der Besuch im 150 Jahre alten Gefängnis trägt auch nicht gerade
zur Stimmungsverbesserung bei, aber immerhin werde ich nicht eingekerkert, ist
ja schon mal was!
Tags darauf buche ich dann trotz diverser Warnungen, dass
sämtliche Inseln mit indischen Weihnachtsurlaubern besetzt wären, mein Schiffsticket
auf die 45 km entfernte Havelock Island.
Es muss ein Wunder sein, dass wir auf dem nach übelsten Klogerüchen stinkenden,
verrosteten und schwankenden Klapperkahn – die Fische kommen mal wieder voll
auf ihre Kosten - trotz aller Löcher im Deck nicht untergehen. Ich höre
Schreckensmeldungen mit vollen Unterkünften, Zeltübernachtungen mitten im
Dschungel, Sandflöhen, Schlangen etc. Na, wunderbar.
Doch dann wird’s wie immer nach ein paar trüben Tagen wieder
super. Treffe auf der 6-stündigen Überfahrt 2 nette deutsche Frauen, die
wenigstens eine Übernachtung fest gebucht haben und mich im Notfall dort auch
nächtigen lassen wollen. Gespräche mit betuchten Indern folgen, u. a.mit einem
süßen indischen Pärchen, sie ca. 15, er ca. 17 Jahre alt, frisch verheiratet.
Da sie aussieht wie ein geschmückter Tannenbaum, überlegen wir, ob es ihr
Hochzeitskleid ist, ober ob sie sich schon weihnachtlich vorbereitet hat.
Apropos, wir staunen, wieviele Rucksackreisende doch ihren eingepackten
Tannenbaum mitschleppen – tja, etwas Konservatives hat doch so mancher an sich,
von dem man es nicht vermutet.....
Was folgt sind interessante Gespräche mit Leuten aus aller Welt, abends unerwartete tolle Fischmenus und natürlich Sonnenuntergänge am Strand (Sandflöhe werden einfach nicht beachtet, obwohl ich zugeben muss, dass die Stiche manchmal sehr nervig sind). Morgens geht eine von uns erst einmal das Frühstück holen – nämlich Bananen von einem der vielen Bäume rund ums Haus. Einen Tag machen wir eine Session mit Verkleidung.
Wir zaubern uns aus den Bananenblättern bzw. -blüten Herzröckchen,
schmücken uns mit Taucherbrillen und Hibiskusblüten und machen viele Fotos mit
Stativ. Gut, dass uns mitten im Dschungel keiner sehen kann (nach dem Motto:
Mein Gott, sind die Deutschen doof!). Meinen ersten Tauchgang inmitten von
Korallen überlebe ich auch unerwarteterweise, was nicht zuletzt an einem
schönen, jungen Tauchlehrer aus der Schweiz liegt, der mich so liebevoll unter
Wasser betreut, dass schnell der Wunsch nach einer ebenso liebevollen Betreuung
über Wasser aufkommt (da ich weiß, dass ihr alle neugierig seid: es blieb bei
der Unterwasserbetreuung!!). – Und wen treffe ich noch? Ich überlege, woher
kennst du bloß diese Gesichter? Sind das nicht der Norbert und die Sonja aus
der dzg? So klein ist die Welt. Da ich noch nicht so lange Mitglied bin,
kannten die beiden mich noch nicht persönlich, was ich dann schnell änderte.
Leider mußten sie 1 Tag später den Heimweg wieder antreten.
Dennoch hatten wir ein paar Stündchen, um uns auszutauschen.
Die Tage vergehen unmerklich und man kann es sich nicht
vorstellen, dass wir den 22. Dezember haben und in 28 ° warmem Wasser baden.
Warum kann es nicht immer so paradiesisch sein? Aber vermutlich würde es dann
auch mal langweilig werden, oder es müßte mindestens einmal am Tag ein Tiger
oder eine Schlange zu Besuch vorbeikommen........................oder ein
Tauchlehrer!
Einen Tag vor Weihnachten verlasse ich dieses Paradies, um in Port Blair am 24.12. um 24.00 Uhr eine Open-Air Weihnachtsmesse mit 5.000 Leuten zu verleben, wobei noch zu erwähnen ist, dass die andamanische Bevölkerung überwiegend aus Katholiken besteht. Auf dieses Ereignis hatte ich mich im Vorfeld besonders gefreut, aber, wie alles im Leben, ist auch dieses unkalkulierbar. Die Feier findet auf einer Wiese neben der Kirche statt.
Es wird gefeiert wie bei einem Volksfest einschl. Eisverkauf, Flohmarktartikeln und kitschig-gemalten Christus-Bildern. Wie bei einem deutschen Open-Air-Konzert ist eine Bühne aufgebaut, worauf die „Künstler“ (Pastöre) ihre Messe zelebrieren, allerdings mit einem Unterschied, es ist alles indisch-bunt, kitschig – und natürlich wie immer l a u t . Es befinden sich 2 Lautsprecher auf diesem großen Platz, unter einem stehe ich. Für mich ist es heute noch unvorstellbar, wie ich das 2 Stunden überleben konnte. Es werden – so scheint mir – nur die hohen Töne der Tonleiter gesungen, Lautsprecher auf voller Lautstärke , völlig überdreht und natürlich kaputt. Ich hatte wirklich keine deutsche Weihnacht erwartet, jedoch eine wenig stimmungsvollere und vor allem ruhigere Atmosphäre (wie ich dann später noch in anderen Kirchen in Indien erlebt habe) hätte mir an diesem Abend gut getan. Nun gut, ich wollte es nicht anders.
2 Tage später kommt dann der Abschied von diesen paradiesischen
Inseln. Einerseits bedauerte ich es, andererseits freute ich mich schon auf
mein nächstes Kapitel, etwas vollständig anderes, nämlich auf Auroville – eine internationale, in
Südindien gelegene Zukunftsstadt des inneren Wachstums und des Friedens , auf
die ich mich schon seit vielen Jahren vorbereitet und gefreut hatte und die
mich nicht mehr loslassen sollte. Doch davon erzähle ich euch in meinem
nächsten Bericht.
Annette Weirich (1999 / 2000)
#
|